PopLog
22. Juni 1968  —  Samstag
Ein Blitz, ein Donnerschlag und ein Zeichen
Die Umgebungsgeräusche werden leise, das Licht ändert sich, alle Sinne sind auf ungewöhnliche Weise geschärft - wenn die Liebe einschlägt wie ein Blitz. So ergeht es Paul McCartney am 22. Juni 1968 in Los Angeles. Zusammen mit Ron Cass und Tony Bramwell von Apple Corps kehrt er zurück von einem Treffen mit Managern der Plattenfirma Capitol ins Beverly Hills Hotel am Sunset Boulevard. Dort am Pool trifft er überraschend auf sie!
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Bild: Midjourney
Sie, das ist die 26-jährige Szene-Fotografin Linda Eastman aus New York, die mit einem Joint und einem breiten Lächeln auf ihn wartet. Tony Bramwell beschreibt es so: "Paul löste sich sofort von den Leuten um ihn herum und nahm Linda zur Seite. Als ich hinüberblickte, sah ich, wie etwas geschah. Sie verliebten sich direkt vor meinen Augen. Es war wie der Donnerschlag, von dem die Sizilianer sprechen, dieses Gefühl, das man nur einmal im Leben hat."
Pauls Hoffnungen auf ein Wiedersehen mit Linda waren bereits am Abklingen, denn zwei Tage zuvor hatte er auf dem Hinflug bei einem Zwischenstopp in New York bei ihr angerufen, sie aber nicht direkt erreicht. Ihre Telefonnummer hatte ihm Linda vor einigen Wochen selbst zugesteckt, als Paul und John im Rahmen einer Apple-Promotion-Tour in New York City Pressekonferenzen abhielten.
Am Abend besucht die Clique den Musikclub Whiskey-A-Go-Go am Sunset Strip. Neben den nun unzertrennlichen Turteltäubchen Paul und Linda sind mit dabei: Ron Cass, Tony Bramwell sowie Kindheitsfreund Ivan Vaughan, der Paul am 6. Juli 1957 mit John Lennon bekannt machte. Im Whiskey-A-Go-Go treten hochkarätige Musiker auf: zunächst Blueslegende B.B. King, danach die Newcomer-Band Chicago Transit Authority (später bekannt als Chicago).
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Bild: whiskyagogo.com
In ihrer Sitzgruppe haben die beiden Verliebten nur Augen für sich, dennoch nehmen sie sehr wohl wahr, wer an diesem Abend wieder zu den Gästen zählt: es sind die englischen Musiker Eric Burdon und Georgie Fame, die auch schon beim allerersten Aufeinandertreffen von Paul und Linda zugegen waren, etwa 13 Monate zuvor im Londoner Club Bag O'Nails. Tony Bramwell: "Es war ein Zeichen."
30. Juni 1968  —  Sonntag
Der Zwischenstopp in Harrold
Im malerischen Dörfchen Harrold in der Grafschaft Bedfordshire sitzt die kleine Shayne Mitchell im Wohnzimmer ihrer Eltern und ist genervt. Es ist schon spät am Sonntagabend, wer sind all diese Leute und warum schrammelt dieser komische Mann auf der Kindergitarre ihrer jüngeren Schwester Shuna herum? Shayne beschließt ins Bett zu gehen und ein Buch zu lesen! Die restlichen Anwesenden lauschen jedoch gebannt weiter, denn jetzt und hier gibt Paul McCartney zum ersten Mal seinen brandneuen Song Hey Jude zum Besten. Keine drei Monate später sollte diese Single die Hitparaden der Welt erobert haben. Wie bitte? Warum gibt einer der erfolgreichsten Musiker des Planeten eine Privatvorstellung mitten in der tiefsten Provinz, hier im Haus von Gordon Mitchell, dem örtlichen Zahnarzt?
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Bild: harroldvillage.co.uk
Die ganze Geschichte beginnt voller Tatendrang: am Samstagabend, 29. Juni 1968, macht sich Paul McCartney mit einigen Leuten von Apple Corps im firmeneigenen Rolls-Royce auf den Weg zu einem Arbeitstermin nach Yorkshire im Norden Englands. Mit an Bord sind Derek Taylor (Pressesprecher bei Apple), Peter Asher (Talentmanager bei Apple) und Tony Bramwell (Mädchen für alles bei Apple) sowie Martha (Pauls Bobtail-Hund). Der Sonntagmorgen beginnt im Veranstaltungssaal Victoria Hall in Saltaire, einem Stadtteil von Shipley in der Nähe von Bradford. Dort produziert Paul das von ihm geschriebene Instrumentalstück Thingumybob zusammen mit der ortsansässigen Blasmusikkapelle Black Dyke Mills Band, eine der ältesten und bekanntesten Brass-Bands in Großbritannien. Thingumybob ist die Titelmelodie zur gleichnamigen Fernseh-Sitcom, die ab Herbst 1968 im Londoner Lokalfernsehen ausgestrahlt werden wird.
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Bild: www.the-paulmccartney-project.com
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Nach erfolgreich erledigter Arbeit macht sich aufgedrehte Stimmung breit, nun soll es zurückgehen ins über 300 Kilometer entfernte London. Alan Smith, seines Zeichens Reporter bei der Musikzeitschrift New Musical Express wird für die Rückfahrt ein Platz im offenbar geräumigen Wagen angeboten (Alans Frau Mavis Smith arbeitet bei Apple Corps als Sekretärin für Derek Taylor). Während der Fahrt schlägt jemand vor, einen Zwischenstopp einzulegen, und zwar im Dorf mit dem schönsten Namen. Peter Asher durchsucht daraufhin die Landkarte und verkündet schließlich: "Harrold!". Derek Taylor erinnert sich später: "Wir kurvten durch Bedfordshire und folgten den Wegweisern, bis wir das Ortsschild erreichten. Harrold. Oh, es war ein wunderbarer Anblick." Das Grüppchen spaziert unternehmungslustig durch das am River Great Ouse gelegene Dorf, in einem Garten steht Gordon Mitchell, ein Mann mit gewaltigem Schnurrbart in Khaki-Shorts, er schneidet gerade seine Hecke. Sie fragen ihn nach dem Weg zum Fluss, entdecken gleich darauf aber einen Wegweiser zum Pub Magpie und gehen stattdessen dorthin.
Gordon hat den im Fernsehen allgegenwärtigen Paul McCartney gleich erkannt, und zusammen mit seiner Frau Pat macht er sich etwas später ebenfalls auf den Weg ins Pub. Dort kommen die beiden mit den feuchtfröhlichen Besuchern aus der Großstadt schnell ins Gespräch. Gordon Mitchell blickt in einem Interview zurück: "Irgendwann kam etwas Hunger auf. Damals gab es nur in wenigen Pubs etwas zu essen. Pat schlug vor, sie könnte etwas auf den Tisch zaubern, also marschierten wir alle zurück zu uns. Wir hatten einen wunderbaren Abend mit Unterhaltung und Musik und Essen und Trinken. Wir sprachen über Pauls Leben als Popstar, den ganzen Rummel und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Sie waren die nettesten Leute, die man sich vorstellen kann. Insbesondere Pat fühlte eine große Verbundenheit mit Paul und verfolgte seine Karriere und sein Leben, bis zu ihrem Tod im Jahr 2002."
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Bild: harroldvillage.co.uk
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Spät am Abend ist die Abreise geplant, aber es macht die Runde, dass Frank und Jean Evans, die Wirtsleute des Pubs Oakley Arms, für die berühmten Besucher die Öffnungszeit verlängert haben. Sie sollten es nicht bereuen, denn im Oakley Arms setzt sich Paul immer wieder ans Klavier, spielt Hey Jude und viele andere Songs. Dieser Umstand spricht sich trotz der späten Stunde in Harrold schnell herum, das Pub ist bald rappelvoll, der Getränkeumsatz sensationell.
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Dorfbewohner John Keech will sich in Pub eigentlich nur kurz noch Tabak für die bevorstehende Arbeitswoche holen, aber der in Liverpool aufgewachsene Rolling-Stones-Fan vertieft sich schnell mit Paul McCartney in ein Gespräch, sie unterhalten sich über Gott und die Welt. Als John Keech viel später nach Hause zurückkehrt, hat er große Mühe, seiner aufgebrachten Ehefrau Jen den Grund für sein langes Ausbleiben glaubhaft zu machen. Zum Glück hat er sich zum Beweis zwei Autogramme ergattert, wohl mangels sonstigem Papier auf 10-Schilling-Banknoten. Neben dem von Paul (mit Grüßen an Judith, genannt "Jude", die Tochter von Familie Keech) auch das Autogramm von Peter Asher. Dieser hatte mit dem Pop-Duo "Peter & Gordon" selbst schon einige Hits, den ersten mit dem Song A World Without Love, geschrieben von, wem sonst, Paul McCartney. Offiziell ist Paul zu diesem Zeitpunkt weiterhin mit der Schwester von Peter, der Schauspielerin Jane Asher, zusammen. Allerdings hat sich Paul nur eine Woche zuvor in Los Angeles endgültig in seine spätere Ehefrau Linda Eastman verliebt.
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Bild: harroldvillage.co.uk
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Gegen drei Uhr nachts treten die Besucher nach herzlichen Verabschiedungen die Rückreise nach London an. Musikjournalist Alan Smith: "London, St. John's Wood, die erste Morgendämmerung. Verabschiedung von Paul, dann mit dem Auto zu mir. Ich stolpere über die Mülltonnen. Es war der Cider, oh der Cider. Die Tür aufschließen. Bett." Sein Fazit: "Es war die beste Partynacht, seit es geschnittenes Brot gibt." Derek Taylor, zusätzlich beseelt von etwas LSD, schlüpft nach seiner Rückkehr zu seiner Frau Joan ins Bett (was am 22. März 1969 zur freudigen Ankunft von Annabel Lucie, dem sechsten Kind für die Taylors, führen sollte). Drei Tage später verschickt Tony Bramwell von Apple Corps ein Dankespaket an die Gastgeber Pat und Gordon Mitchell. Die darin enthaltenen Champagnerflaschen werden beim anstehenden Kirchweihfest in Harrold über die Tombola verlost.
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9. Februar 1964  —  Sonntag
The Revolution is televised
Am 4. Juli 1776 erklären sich 13 nordamerikanische Kolonien als die Vereinigten Staaten unabhängig vom britischen Königreich. Doch das Imperium schlägt nun (friedlich) zurück: am 9. Februar 1964 beginnt mit dem Auftritt der Beatles in einer amerikanischen Fernsehshow die "British Invasion" der Popmusik, die eine starke Radio- und Hitparadenpräsenz von Musikern aus England einleitet. Mehr als 40 Prozent der lebenden Amerikaner sehen bei diesem epochalen TV-Ereignis zu, nicht wenige beschließen unmittelbar danach, selbst eine Beatband zu gründen. Die Sendung ist ein Wendepunkt der Popkultur.
Die Fernseh-Varieté-Show von Moderator Ed Sullivan wird seit 1948 jeden Sonntagabend live aus New York City übertragen. Musiker wie Bill Haley und Elvis Presley haben in der Show ihre ersten großen Fernsehauftritte. Jack Babb, der Talentsucher der Ed Sullivan Show, fährt jeden Sommer nach Europa, und sucht nach neuen Künstlern für die kommende Staffel. Sein Kontaktmann in London, Peter Prichard, schlägt ihm die Beatles vor, aber das Interesse bleibt trotz der in Großbritannien bereits grassierenden Beatlemania gering. Am 31. Oktober 1963 jedoch reist Showmaster Ed Sullivan mit seiner Ehefrau auf dem Rückweg nach New York durch den Londoner Flughafen Heathrow und trifft dort auf über 1.500 begeisterte Beatles-Fans, die auf die Wiederkehr ihrer Helden von der Konzerttournee aus Schweden warten. Jetzt geht alles sehr schnell, Beatles-Manager Brian Epstein fliegt schon am 5. November 1963 nach New York und vereinbart direkt mit Ed Sullivan per Handschlag drei Auftritte der Band in der Show (zwei davon live, einer als Vorab-Aufzeichnung).
Die Plattenfirma EMI plant (zusammen mit dem amerikanischen Partnerlabel Capitol Records) die Veröffentlichung von Beatles-Platten in den USA ab Februar 1964 und hofft auf die Fernsehauftritte als Unterstützung für die Verkäufe. Es sollte anders kommen: amerikanische Radio-DJs spielen I Want To Hold Your Hand schon ab November 1963 rauf und runter, die Plattenfirmen ziehen den Verkaufsstart auf Ende Dezember vor, und Ende Januar 1964 hat der Song den ersten Platz der Hitparade erobert. Die Charterfolg und die Dauerberieselung auf den Radiowellen befeuert nun die Vorfreude auf den Fernsehauftritt, vorgesehen war es umgekehrt. Pilzkopf-Perücken sind bereits der Verkaufshit, und überall in der Stadt tauchen Poster und Aufkleber auf: "The Beatles Are Coming". Die lokalen Radiomoderatoren geben Flugnummer (Pan Am 101) und Ankunftszeit der Beatles direkt an die Fans weiter.
Am Freitag, dem 7. Februar 1964 landen die Beatles auf dem New Yorker Flughafen JFK (bislang bekannt als Idlewild-Airport, das Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy liegt noch keine 3 Monate zurück). John, Paul, George und Ringo steigen am frühen Nachmittag aus der Boeing 707 und trauen ihren Augen und Ohren kaum: mindestens 3.000 kreischende Fans, hauptsächlich junge Mädchen, und 200 Reporter erwarten die Ankunft der Chartstürmer aus Liverpool.
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In einer ersten Pressekonferenz in der Pan Am Lounge am Flughafen versuchen die Journalisten zu ergründen, welcher Fieberwahn die amerikanische Jugend befallen hat. Insbesondere die langen Haare schockieren das Establishment: "Helfen euch die Haare beim Singen?", "Wie viele von euch haben eine Glatze, dass ihr diese Perücken tragen müsst?", "Geht ihr zum Friseur, solange ihr hier seid?" - Paul McCartney verneint, George Harrison kontert: "Ich war gestern beim Friseur." Schockschwerenot, und dann sind die immer noch so lang!
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Die Nachfrage nach Tickets für die Ed Sullivan Show am Sonntagabend stellt alles Bisherige weit in den Schatten: für die 728 Sitzplätze im CBS Studio 50 (dem heutigen Ed Sullivan Theater) liegen über 50.000 Anfragen vor. Jeder mit Einfluss versucht seinen Töchtern noch Karten zu verschaffen, der spätere Präsident Richard Nixon bringt seine Mädchen Tricia und Julie unter, Komponist und Dirigent Leonard Bernstein zieht den Kürzeren.
Am 9. Februar eröffnen die Beatles nach kurzer Vorstellung durch Ed Sullivan wenige Minuten nach 20 Uhr Ortszeit die Show mit All My Loving, Till There Was You und She Loves You. Um die vier langhaarigen Musiker voneinander unterscheiden zu können, wird beim zweiten Song bei Nahaufnahmen der jeweilige Name mit eingeblendet. Bei John Lennon steht die bestürzende Meldung darunter: "Tut uns leid, Mädels. Er ist verheiratet." (seine Ehefrau Cynthia ist in New York mit dabei). Der allgemeinen Begeisterung des (vor allem weiblichen) Publikums tut das keinen Abbruch. Für die nachfolgenden Künstler der Varieté-Show lässt die Aufmerksamkeit nach, Ed Sullivan bittet zwischendurch um Ruhe, "sonst lasse ich einen Friseur kommen". Später beschließen die Beatles die einstündige Sendung mit I Saw Her Standing There und dem aktuellen Nummer-Eins-Hit I Want to Hold Your Hand.
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Üblicherweise lockt die Ed Sullivan Show etwa 21 Millionen Amerikaner vor die Bildschirme. An diesem Abend sind es 73 Millionen, eine für lange Zeit bestehende Rekordquote im US-Fernsehen. Ähnlich gut läuft es eine Woche später, am 16. Februar sendet die Ed Sullivan Show live aus Miami, Florida, direkt aus dem Napoleon Ballroom im Deauville Hotel. Die Beatles werden durch einen Menschenauflauf beinahe daran gehindert, die Bühne zu betreten, eine Kette aus Polizisten rettet den Live-Gig in letzter Sekunde. Und auch in der Folgewoche sind die vier Pilzköpfe in der Show zu sehen, diesmal als Aufzeichnung, die bereits vor ihrem ersten Auftritt abgefilmt wurde. Die Beatles selbst sind zu diesem Zeitpunkt schon wieder nach England zurückgekehrt.
Ihr erster Aufenthalt in den Vereinigten Staaten hat die Musiklandschaft umgepflügt: die Beatlemania steigert sich endgültig von der Epidemie zur Pandemie. Kurz darauf belegen die Newcomer aus Liverpool alleine die ersten fünf Ränge der amerikanischen Hitparade, Die "British Invasion" in der Popmusik ist nicht mehr aufzuhalten, die ehemaligen Kolonien orientieren sich erneut am einstigen Mutterland.
18. Dezember 1966  —  Sonntag
A (Last) Day in the Life
Tara Browne verabschiedet sich nach einer feucht-fröhlichen Samstagabend-Party gegen Mitternacht von seinen Freunden und braust mit seinem türkisfarbenen Lotus Elan davon. Er ist gerade mal 21 Jahre alt und dennoch seit langem eine stadtbekannte Größe in der Szene des Swinging London, unter anderem ist er Mitbetreiber der angesagten Boutique Dandie Fashions. Seine schwerreiche Mutter ist die jüngste der drei "Golden Guinness Girls", an seinem 25. Geburtstag wird ihm ein Erbanteil der irischen Guinness-Brauerei in Höhe von einer Million Pfund zufallen. Die Trennung von Ehefrau Nicky und den zwei gemeinsamen Kindern ist bereits durch, neben ihm im Wagen sitzt seine neue Freundin Suki Potier, 19 Jahre alt, Model von Beruf. Tara Browne hat in dieser Nacht alles - und noch knapp zwei Stunden zu leben.
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Bild: theseislands.blog
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Der junge Lebemann fährt jetzt durch die nächtlichen leeren Straßen von South Kensington, schnell, zu schnell, ja viel zu schnell - Alkohol und Drogen sind mit im Spiel. Mit dem Lotus ist er schon bei Autorennen mitgefahren, vier Tage zuvor hat er nach einigen Monaten Fahrverbot wegen Raserei seinen Führerschein wieder zurückerhalten. Bei einem Tempo von über 170 km/h kann er an der Kreuzung Redcliff Square und Redcliff Gardens knapp einem überraschend auftauchenden Auto ausweichen, kollidiert dann aber mit einem geparkten Lieferwagen. Beifahrerin Suki Potier gibt später zu Protokoll, Tara hätte das Steuer noch herumgerissen, um sie vor dem Aufprall zu schützen. Sie überlebt den Unfall unbeschadet (und stirbt 14 Jahre später im Alter von 33 Jahren bei einem Autounfall in Portugal). Tara Browne wird mit schweren Kopfverletzungen ins nahe gelegene St. Stephen's Hospital gebracht, wo bald darauf sein Tod festgestellt wird.
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Bild: rollingstonesdata.com
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Vier Wochen später blättert John Lennon, seit jeher ein eifriger Zeitungsleser, durch die Ausgabe der Daily Mail vom 17. Januar 1967. Er sitzt an seinem Klavier, zwei Artikel fallen ihm ins Auge: in der nordenglischen Stadt Blackburn wurden 4.000 Schlaglöcher in den Straßen gezählt, ebenso der Abschlussbericht des Gerichtsmediziners über den tödlichen Verkehrsunfall von Guinness-Erbe Browne.
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Bild: WLVR 91.3 FM
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Lennon klimpert weiter auf dem Klavier herum, sammelt Inspirationen für seinen Teil an einem geplanten Song mit dem Arbeitstitel In the Life of ... Das Gelesene verdichtet sich zu Ideen und er fängt an zu texten. Am übernächsten Tag beginnen die Beatles die Aufnahme-Session für ihr nächstes Album Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band. Im Songtext von A Day in the Life sind letztlich diese Zeilen enthalten:
I read the news today, oh boy — ich habe die Zeitung gelesen, Junge, Junge
About a lucky man who made the grade — über einen glücklichen Mann, der es geschafft hat
He blew his mind out in a car — er löschte sein Bewusstsein aus in einem Auto
He didn't notice that the lights had changed — er hat nicht bemerkt, dass die Ampel umgeschaltet hatte
I read the news today, oh boy — ich habe die Zeitung gelesen, Junge, Junge
Four thousand holes in Blackburn, Lancashire — viertausend Löcher in Blackburn, Lancashire
And though the holes were rather small — und obwohl die Löcher ziemlich klein waren
They had to count them all — mussten sie alle gezählt werden
Now they know how many holes it takes to fill the Albert Hall — jetzt wissen sie, wie viele Löcher man braucht um die Albert Hall zu füllen
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Bild: weantuniverse.tumblr.com
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7. November 1956  —  Mittwoch
Eine Schülerband wird gegründet
Es liegt etwas in der Luft an der Quarry Bank High School for Boys in Liverpool. Es ist die Musik von Lonnie Donegan, dem Jazzmusiker, der als "King of Skiffle" bezeichnet wird. Dieser Musikstil, entstanden aus amerikanischem Blues und Boogie-Woogie, vermischt mit Folkmusik und Jazz, ist in England stark im Kommen.
Ein gewisser John Lennon und sein Schulfreund Eric Griffiths nehmen Gitarrenunterricht, brechen jedoch bald wieder ab. Es geht zu viel um Musiktheorie, weniger um das eigentliche Instrumentenspiel. Das kann die beiden aber nicht weiter aufhalten, sie fassen den Entschluss: Wir gründen einfach eine Skiffle-Band, denn für diese angesagte Musik sind keine teuren Instrumente notwendig.
Eric ist für das Banjo vorgesehen, John für die Gitarre. Mitschüler Pete Shotton hat und beherrscht kein Instrument, ihm wird daher das leicht zu erlernende Waschbrett zugeteilt, das er im Gartenhaus seiner Mutter auffindet. Pete wirbt noch seinen Schulfreund Bill Smith für den Teekistenbass an, das benötigte Instrument mopst Bill aus dem gut bestückten Musikraum der Schule. Damit ist die Gründungsriege von "The Quarrymen" komplett, der allererste Bandname "The Blackjacks" wird schnell verworfen.
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Bild: www.youtube.com/@BrightmoonLiverpool
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Die junge Skiffle-Truppe, alle sind um die 16 Jahre alt, geht im Anschluss durch zahlreiche Besetzungswechsel und erarbeitet sich ein Repertoire. Darunter zum Beispiel die Songs Rock Island Line und Cumberland Gap, bekannt durch den allseits verehrten Star Lonnie Donegan. Die musikalische und kulturelle Keimzelle, aus später die Beatles hervorgehen sollten, macht sich ans Werk.
23. April 1960  —  Samstag
Die Nerk Twins treten auf
John Lennon und Paul McCartney haben Osterferien, die beiden reisen per Anhalter zu Pauls Cousine Betty Robbins ins über 300 Kilometer entfernte Caversham, nahe Reading in der Grafschaft Berkshire. Dort betreibt die liebe Cousine zusammen mit ihrem Ehemann Mike das Pub Fox and Hounds. John und Paul machen sich hinter der Bar nützlich und lassen das Kneipenleben auf sich wirken.
Mike Robbins, ganz der geschäftstüchtige Wirt, schlägt den Jungspunden vor, am Samstag im Pub als Gitarren-Duo aufzutreten. Gesagt, getan, die beiden zeichnen höchstselbst die Konzertplakate (diese sind verschollen, ein Fund wäre heute ein Vermögen wert). Darauf steht: "Samstagabend • Live-Auftritt • die Nerk Twins". Der Begriff Nerk ist ein Slangausdruck und bezeichnet einen komplett uncoolen Typen - an Selbstironie hat es den Beatles nie gemangelt.
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Bild: twitter.com/johnlennon
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John und Paul spielen, auf Barhockern sitzend, mit akustischen Gitarren und ohne Mikrofon. Jedoch, die Resonanz geht gegen null, die Pub-Besucher starren lieber ins Bier. Mike Robbins will zumindest "Leben in der Bude" festgestellt haben, und auch einer der Gäste erkundigt sich einige Zeit später beim Wirt: "Wann kommen diese Nerk Twins wieder? Sie waren echt übel, aber sie haben ein bisschen Leben reingebracht."
Am Folgetag spielen die "Nerk Twins" das gleiche Set nochmals zur Mittagszeit. Mit dabei sind unter anderem die Songs The World Is Waiting For The Sunrise und Be-Bop-A-Lula. Danach trampen die beiden wieder zurück nach Liverpool - die Osterferien sind zu Ende. Es sollten dies die einzigen Auftritte von John Lennon und Paul McCartney als Musiker-Duo auf der Bühne bleiben.
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Bild: twitter.com/mariecopley
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mailbox@andreas-steidle.de